Infrarotfotografie - Teil 1

Damit Sie nicht rot sehen ...


Thomas Wollstein
Dezember 2001


Jeder Artikel und jedes Buch über Infrarotfotografie fängt damit an, zu erklären, was denn "Infrarot" (IR) eigentlich ist. Für mich bedeutet Infrarot in erster Linie eine Menge Spaß beim Fotografieren, und ich hoffe, den kann ich Ihnen vermitteln. Aufgrund der Tatsache, dass wir mit Licht fotografieren, dass wir selbst nicht sehen, hat die Infrarotfotografie ein Element des Unvorhersagbaren. (Das gilt zumindest wenn man bei klassischer Fotografie auf Film bleibt. Bei digitaler IR-Fotografie kann man sich das Ergebnis ja direkt anschauen.) Damit die IR-Fotografie für Sie nicht zum Lottospiel wird und Sie nicht enttäuscht werden, möchte ich Ihnen einige theoretische Grundlagen vermitteln.

Ich gliedere diesen Artikel in mehrere Teile:

  • Grundlagen und Märchen werden gleich zu Anfang besprochen.
  • Die Überleitung zu den Filtern ist fließend, und
  • die Belichtung steht auch in engem Zusammenhang damit.

Als weitere wesentliche Aspekte werde ich noch - in mindestens einem weiteren Teil des Artikels - Kameras, praktische Aspekte und - ganz wichtig - die verfügbaren Filme ansprechen. Nachdem lange Jahr(zehnt)e nichts auf diesem Markt passierte, tut sich in letzter Zeit wieder etwas, und ab Januar 2002 soll es gar einen neuen Mitbewerber auf dem IR-Filmmarkt geben.

Grundlagen

Licht ist elektromagnetische Strahlung

So fangen viele Artikel an, und der Witz liegt darin, dass diese Feststellung umgekehrt nicht mehr ganz richtig ist. Licht ist sichtbar, und von der elektromagnetischen (EM) Strahlung ist nur ein kleiner Teil sichtbar. Licht ist also immer EM-Strahlung, aber nicht alle EM-Strahlung ist auch Licht. EM-Strahlung wird für fotografische Zwecke durch ihre Wellenlänge charakterisiert, und sichtbar ist der Bereich von knapp unter 400 nm bis knapp über 700 nm Wellenlänge. Ich will Ihnen gar nicht erklären, was Nanometer (nm) sind, und auch die Zahlen brauchen wir nur für ein paar ungefähre Überlegungen, um zu verstehen, was sich hinter den Angaben der Filmhersteller über ihre Filme verbirgt.

Das Wort "infra" kommt aus dem Latein und heißt "unter". Infrarote Strahlung ist die Strahlung, deren Energiegehalt unter dem der vom Auge als "Rot" gesehenen Strahlung liegt. Das Auge sieht Infrarot"licht" nicht mehr, weswegen man streng genommen nicht von "Licht" reden kann, aber das haben wir jetzt klargestellt, und so kann ich im folgenden doch von IR-"Licht" reden, und Sie werden wissen, was ich meine.

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Anmerkung:
Das Pendant zum Infraroten, am gegenüberliegenden Ende des Spektrums, ist übrigens das Ultraviolette, der (energetisch) über dem Violetten liegende Bereich. Witzigerweise wird in einigen alten Büchern statt vom Infraroten auch vom "Ultraroten" gesprochen. Auch das hat seine Berechtigung: Das Ultrarote ist dasselbe wie das Infrarote, nur wird es Ultrarot genannt, weil es von den Wellenlängen her betrachtet über dem Roten liegt.

Die Farben des Lichtes sind im Spektrum so angeordnet, dass man sie sich mit Hilfe des englischen Namens

Roy G. Biv

gut merken kann. Der steht nämlich für

R ot
O range
Y ellow (= Gelb)

G rün

B lau
I ndigo (= Tiefblau)
V iolett

Die Wellenlänge wird von Rot nach Violett immer kürzer, also je kürzer die Wellenlänge, desto blauer das Licht. Rot beginnt bei gut 700 nm Wellenlänge, Violett endet bei knapp 400 nm. Der uns interessierende Bereich liegt zwischen 700 und 1000 nm, also im gerade eben Infraroten, das man auch nahes Infrarot nennt.

Infrarot = Hitzestrahlung?

Das werden Sie, wenn Sie erzählen, dass Sie IR-Fotos machen, oft zu hören bekommen, und es stimmt - ungefähr in demselben Sinne wie Licht eben EM-Strahlung ist. Sogleich werden Ihre Gesprächspartner an Fotos im Dunklen und die Ingenieure unter ihnen vielleicht an Thermografien denken.

Es stimmt, dass heiße Objekte EM-Strahlung aussenden. Je heißer ein Körper ist, desto mehr Energie hat er zur Verfügung, und um so mehr strahlt er als EM-Strahlung ab. Aus Erfahrung wissen wir, dass ein Körper, der so gerade eben sichtbar zu glühen anfängt, zunächst tiefrot strahlt, wenn er heißer wird, immer heller rot, schließlich immer weißlicher. Je heißer also ein Körper, desto mehr verschiebt sich das Spektrum seiner Strahlung vom langwelligen roten zum kurzwelligem blauen Licht hin. Sie können das mit einer Glühbirne und einem Dimmer ausprobieren. Sie werden deren Wendel nicht so heiß bekommen, dass sie blau glühen, aber Sie haben sicher schon bemerkt, dass das Licht einer Halogenlampe mit ihren heißeren Glühfäden weniger rötlich-gelb ist als das von gewöhnlichen Glühlampen. Ganz eklatant wird die Farbverschiebung, wenn Sie bei Glühlampenlicht mit Tageslicht-Farbfilm fotografieren: Die weiße Raufaser-Tapete ist auf dem Foto plötzlich gelblich oder rötlich.

Dennoch: Ein Mensch ist nicht heißblütig genug, als dass man ihn aufgrund der von ihm erzeugten IR-Strahlung auf IR-Film aufnehmen könnte. Auch Thermografien sind mit den uns zur Verfügung stehenden IR-Filmen nicht zu erzielen. Die einer Temperatur von etwa 40°C entsprechende Wellenlänge ist noch ungefähr 10mal zu lang dafür. Sie fällt weit außerhalb des Spektrums, für das der Film noch empfindlich ist.

IR-Licht kommt in Begleitung von reichlich sichtbarem Licht in der Sonnenstrahlung und im Licht von Glühlampen vor. Für die bildmäßige IR-Fotografie mit silberbasierten Filmen gilt also i. d. R., dass sie nur dann möglich ist, wenn zusätzlich zum IR auch reichlich sichtbares Licht vorhanden ist. Die Ausnahme von der Regel ist lediglich die Dunkelblitzmethode à la Weegee, die weiter unten besprochen wird.

Wie "sieht" der Film?

Die Silberhalogenide, aus denen sich die lichtempfindliche Schicht zusammensetzt, sind von sich aus nur in einem engen, relativ kurzwelligen (also bläulichen) Bereich lichtempfindlich. Aus diesem Grund waren die ersten Silberemulsionen vorwiegend blauempfindlich, d. h. sie bildeten (im Positiv) Blaues zu hell und Rotes zu dunkel (oder gar nicht) ab. Erst im Laufe der Jahrzehnte glückte es den Emulsionsherstellern, durch Beimischung von Farbstoffen zur Emulsion auch immer roteres Licht für die Fotografie zugänglich zu machen. Zunächst zielten sie darauf ab, Filme mit tonwertrichtiger Farbwiedergabe zu erzeugen (panchromatisches Material), aber später auch - zunächst für wissenschaftliche und (wie sollte es anders sein) militärische Zwecke - Filme, die im nicht mehr sichtbaren, eben Infraroten empfindlich waren. Immer blieb dabei die primäre Empfindlichkeit der Silberhalogenide für blaues Licht erhalten. Diesen Punkt hebe ich noch einmal hervor, weil er später noch einmal wichtig werden wird.

Jeder IR-Film ist auch für sichtbares Licht empfindlich, meist sogar empfindlicher als für IR.

Wenn Sie also einen IR-Film in Ihre Kamera stecken und damit einfach so drauflos fotografieren, bekommen Sie Fotos, die nicht als IR-Fotos zu erkennen sind, denn das sichtbare Licht ist wesentlich intensiver als das infrarote, und Sie werden auf dem Film hauptsächlich das vom sichtbaren Licht hervorgerufene Bild finden. Um IR-Fotos zu schießen, müssen Sie alles Licht außer dem infraroten ausschließen, und dazu brauchen Sie

Filter

Für die Infrarotfotografie verwendet werden Gelb-, Orange-, Rotfilter sowie Infrarot- und Schwarzfilter. Welches Filter einen wie starken Effekt hat, hängt auch von der Empfindlichkeit des Films ab. Gäbe es einen Film, der nur im IR empfindlich wäre, bräuchten wir kein Filter. Bei einem Film, der ausschließlich im Blauen und Infraroten empfindlich ist (z. B. Konica), kann schon ein Filter, das nur das blaue Licht aussperrt (z. B. Rotfilter #25 oder #29), ausreichen um einen satten IR-Effekt zu erzielen. Bei einem Film aber, der näherungsweise panchromatisch reagiert und zusätzlich eine ins IR erweiterte Empfindlichkeit aufweist, müssen wir, um den typischen IR-Effekt zu erzielen, möglichst alles Licht abschneiden, das unterhalb des IR liegt. In diesem Sinne verstehen Sie die nachfolgenden Aussagen bitte nur als allgemeine Hinweise. Genaueres dazu kommt bei der Besprechung der Filme, der ich einem weiteren Teil dieses Artikels widmen möchte.

Gelb- und Orangefilter sperren blaues Licht weitgehend aus. Dadurch wird blauer Himmel dunkler wiedergegeben, und die Schatten in sonnenbeschienenen Szenerien werden dunkler (da das auf sie auftreffende Licht ja nicht direkt von der Sonne, sondern vom blauen Himmel kommt). Atmosphärischer Dunst bei Fernaufnahmen wird reduziert. Der typische IR-Effekt ist jedoch meist noch recht schwach.

Rotfilter gibt es in den verschiedensten Stärken. Normale Rotfilter (#25) erzielen nur bei den Filmen eine deutliche IR-Wirkung, die wirklich nur für Blau und IR empfindlich sind (s. o.). Bei Filmen mit panchromatischer Empfindlichkeit ist der Effekt eher dem des Orangefilters ähnlich, nur stärker. Ähnlich verhält es sich mit dem Dunkelrotfilter (#29), doch kann hier der IR-Effekt schon ansatzweise sichtbar werden.

Tiefrote Kantenfilter und "Schwarzfilter" sind dadurch gekennzeichnet, dass sie im sichtbaren Bereich fast kein Licht oder gar kein Licht mehr durchlassen, aber mit diesen Filtern kommen Sie in den Bereich der wirklich dramatischen IR-Aufnahmen. Kantenfilter haben ihren Namen daher, dass ihr Absorptionsspektrum eine so genannte Absorptionskante aufweist, einen fast abrupten Übergang von fast völliger Durchlässigkeit bei einer Wellenlänge zu fast völliger Sperrung bei einer etwas kürzeren. (Gewöhnliche Filter zeichnen sich dem gegenüber durch einen sanften Anstieg "von Null auf Hundert" aus.)

Kantenfilter werden nach der Wellenlänge dieses Sprungs gekennzeichnet. Für die IR-Fotografie sind die Filter RG 665 und RG 695 besonders geeignet. Ich verwende mit Vorliebe das RG 665-Filter (entspricht etwa #70 in der Kodak-Nomenklatur), da es aus meiner Sicht einen idealen Kompromiss bietet: Man kann gerade noch etwas dadurch sehen, also auch eine Spiegelreflexkamera (SLR) noch mit vorgesetztem Filter ausrichten, aber der IR-Effekt ist schon sehr ausgeprägt.

So genannte Schwarzfilter (#87, #87C usw.) sind nur für das Auge schwarz. Der IR-Film kann noch durch sie "sehen". Der IR-Effekt ist dementsprechend noch etwas ausgeprägter als bei Kantenfiltern, aber es ist ein gravierender Nachteil für Benutzer von SLR-Kameras, dass man durch diese Filter nichts mehr sieht. Man muss also zwingend ein Stativ benutzen, die Kamera ohne Filter ausrichten, das Filter aufsetzen und dann fotografieren. Benutzer von Sucherkameras sind da fein raus. Sie schauen nicht durchs Objektiv auf ihr Motiv. Folglich sehen sie auch mit aufgesetztem Schwarzfilter alles bestens durch den Sucher.

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Tipp:
Filter werden vermutlich zu Beginn Ihrer IR-fotografischen Tätigkeit der kostenintensivste Ausrüstungsgegenstand sein. Ein Heliopan-Kantenfilter RG 665 z. B. schlägt schon bei einem kleinen Durchmesser mit 60 bis 70 DM (oder - im Vorgriff auf die Jahreswende - 30 bis 35 EURO) zu Buche. Wenn Sie noch nicht wissen, ob Sie der IR-Fotografie dauerhaft frönen möchten, wäre meine Empfehlung an Sie, zunächst ein Kodak Wratten Gelatinefilter #70 (tiefrot) oder #87 (schwarz, mit den erwähnten Vor- und Nachteilen) zu erstehen. Mit einem Folienfilterhalter, der auch noch zu vertretbarem Preis zu haben ist, haben Sie dann eine Lösung, die so schlecht gar nicht ist. Eine ganz billige Lösung ist auch ein Stück unbelichteten und entwickelten Kodak Ektachrome Diafilms (wegen der Objektivdurchmesser reicht KB-Film meist nicht, aber Rollfilm 120 tut's oft). Der ist für das Auge auch (fast) undurchsichtig, hat aber - das beschreibt Andrew Davidhazy in [1] - praktisch dieselben Eigenschaften wie ein Folienfilter #87. Hochwertige vergütete Filter aus Glas werden z. B. von Heliopan (heliopan.de) hergestellt. Kodak Wratten Folienfilter liefert Bowens, Hamburg.

 Nach zunehmender Stärke des Effektes geordnet sind die Filter nachstehend aufgeführt.

Farbe

Kodak-Nummer

Kommentar

gelb dunkel

(15)

kein oder nur geringer Wood-Effekt

orange

(22)

rothell

(25)

ab hier abwärts Wood-Effekt bei geeigneten Filmen (Konica)

rot

(29)

645 nm

 

665 nm

 

ab hier abwärts deutlicher Wood-Effekt bei allen IR-Filmen

695 nm

(89B)

715 nm

(88A)

ab hier abwärts praktisch undurchsichtige Filter

780 nm

(87)

830 nm

(87C)

850 nm

 

1000 nm

 

Beachten Sie, dass auch IR-Filme nur bis zu einer gewissen Grenze sensibilisiert sind. Ein 1000-nm-Filter mit einem Film zu nutzen, der nur bis 800 nm sensibilisiert ist, hat ungefähr dieselbe Auswirkung wie mit aufgesetztem Objektivdeckel zu fotografieren. Recht universell einsetzbar sind die gerade noch durchsichtigen Filter wie RG 665.

Was ist denn eigentlich der besagte "IR-Effekt"?

Unter diesem Stichwort versteht man eine Reihe von typischen Kennzeichen von IR-Bildern, als da wären

1.     dunkler bis schwarzer Himmel
Der blaue Himmel bei gutem Wetter erscheint auf IR-Fotos fast oder gar völlig schwarz. Dass der Himmel überhaupt blau ist, liegt daran, dass die Erdatmosphäre kurzwelliges (sprich: blaues) Licht stärker streut als langwelliges (grünes und rotes). Von hier unten auf der Erde schauen wir, wenn wir die Sonne nicht gerade vor uns haben, auf den Himmel (also die Atmosphäre) wie jemand, der vor einer Leinwand sitzt, mit dem Projektor im Rücken. Im Falle des Himmels wird die Leinwand von der Sonne mit weißem Licht beschienen, aber die Leinwand, pardon: der Himmel lässt rotes Licht einfach durch und wirft blaues zurück. Sehen können wird nur das Licht, das zurückgeworfen wird. Konsequenz: Der Himmel ist blau. Da jedoch rotes Licht nicht zurückgeworfen wird, wird er, wenn wir das blaue Licht durch ein Filter ausschalten, völlig schwarz. Schauen wir abends in Richtung Sonne durch die Leinwand (lies: Atmosphäre), sehen wir den entsprechenden Effekt von der anderen Seite der Leinwand: Das blaue Licht wird nicht (eigentlich nur weniger) durchgelassen, und alles scheint rot, auch die Sonne, die bekanntermaßen unabhängig von der Tageszeit weißes Licht abstrahlt.

 

2.   Blattwerk und Gras erscheinen weiß
Diese als Wood-Effekt bekannte Erscheinung ist immer wieder Gegenstand hitziger Diskussionen. Es gibt verschiedene Erklärungen für die Ursache, aber uns soll hier nur interessieren, dass der Wood-Effekt dadurch entsteht, dass Pflanzen IR-Strahlung um so stärker reflektieren, je mehr Chlorophyll (grünen Blattfarbstoff) sie enthalten. Es wird also nicht alles weiß, was im Sichtbaren grün aussieht, sondern nur das, was Chlorophyll enthält.

 

3.   Dunst verschwindet (oder wird doch zumindest sehr gemindert)
Der Grund hierfür ist derselbe wie unter 1. Kleine Teilchen in der Atmosphäre (also Staub, Wassertröpfchen usw.) haben ebenfalls die Tendenz, das blaue Licht stärker zu streuen als das rote. Wenn diese Teilchen also das Licht, das wir an unseren Film lassen, nicht zurückwerfen, kann der Film diese Teilchen nicht sehen, und Dunst und Staub verschwinden.

 

4.   Halos, Überstrahlungen, Auren
Dies ist eigentlich kein IR-Effekt, sondern etwas, das bei allen Filmen vorkommt und das Filmentwickler (nicht die Gebräue, die das Latentbild in ein Silberbild verwandeln, sondern die Leute, die sich die Zusammensetzung der Filme ausdenken) normalerweise bei Filmen zu verhindern suchen. Wenn man eine Emulsion auf einen klaren Träger aufbringt und sonst nichts tut, kommt es automatisch zu so genannten Lichthöfen, zu einer Überstrahlung der stark belichteten Bereiche in angrenzende schwach belichtete Bereiche, denn das auf den Film treffende Licht wird in der Emulsion ein wenig aufgefächert, im klaren Träger nicht geschwächt und an dessen Rückseite aufgefächert wieder zur Emulsion zurück reflektiert. Das zu verhindern ist bei gewöhnlichen Filmen die Aufgabe der Lichthofschutzschicht auf der Filmrückseite. Kodak hat bei der Entwicklung des Kodak HIE aus welchen Gründen auch immer diese Schicht weggelassen. Daher wird diese Überstrahlung nicht verhindert. Sie hat sich (wie in der Kunst so vieles, was anfänglich als Fehler galt) im Laufe der Zeit für viele Fotografen zu einem Leistungsmerkmal entwickelt. Dass es auch bei IR-Filmen ohne Überstrahlung geht, zeigen z. B. die IR-Filme von MACO, die eine Lichthofschutzschicht haben.

Die Ausprägung der Halos lässt sich durch Belichtung und Entwicklung beeinflussen. Überreichliche Belichtung und/oder Entwicklung verstärken den Effekt.
Überstrahlungen können bei bestimmten Motiven sehr gut wirken und ihnen einen romantischen, ätherischen oder auch mystischen Eindruck verleihen (z. B. alte Friedhöfe), bei anderen Motiven, bei denen bei aller Abstraktion durch IR eine sachlichere Atmosphäre gewünscht wird (z. B. moderne Architektur) können sie auch unpassend erscheinen.

 

5.   Körnigkeit
Auch das ist, wie sich durch die Existenz feinkörniger IR-Filme zeigen lässt, kein echter IR-Effekt, aber durch das lange Jahre bestehende Quasi-Monopol von Kodak zu einer Sehgewohnheit geworden. Darüber hinaus ist die Körnigkeit auch ein Effekt, der sich durch Entwicklung und Belichtung (!) in gewissem Rahmen beeinflussen lässt. So habe ich z. B. IR-Negative auf Kodak HIE, die in Tetenal Ultrafin entwickelt wurden und die ich nicht über 18 ´ 24 cm hinaus vergrößern mag, weil das Korn unangenehm auffällig ist. Auf der anderen Seite habe ich solche, die ich in XTOL 1+3 entwickelt habe, und die noch bei 24 ´ 30 cm wenig störendes Korn aufweisen. Auch die Körnigkeit kann manchen Motiven gut bekommen oder zumindest nicht stören, aber für bestimmte Themenbereiche (wieder ist Architektur ein gutes Beispiel) bin ich persönlich froh, dass es auch ohne geht.

 

6.   Samtige Hauttonwiedergabe bei Porträt und Akt
Schon ein Orange- oder Rotfilter steht in dem Ruf, Hautunreinheiten gnädiger darzustellen, was wohl daran liegt, dass diese meist mit Rötungen einhergehen, die durch das Filter aufgehellt werden. Besonders für die Aktfotografie schwören aber einige Fotografen auf die Hauttonwiedergabe des IR-Films.
Es gibt allerdings auch "unerwünschte Nebenwirkungen": Mitunter werden im IR-Porträt sonst unsichtbare, dicht unter Haut liegende Blutgefäße oder auch Bartstoppeln sichtbar.

Belichtung

Wir nähern uns dem dunkelsten Thema der IR-Fotografie. In einem Buch las ich, dass Belichtungsmesser so sähen "wie das menschliche Auge". Das ist Unfug, zumindest aber sehr unpräzise ausgedrückt. Der Autor wollte vermutlich sagen, dass auch ein Belichtungsmesser durch ein 87er Filter nicht mehr messen kann. Leider ist es so, dass nicht alle Belichtungsmesser dieselbe spektrale Empfindlichkeitsverteilung aufweisen. Bei manchen kann man durch aufgesetzte Rot- und Dunkelrotfilter und vielleicht auch noch Kantenfilter messen, andere zeigen gar nichts oder Mondwerte an.

Belichtungsmesser sind in jedem Fall nicht für die Anwendung im IR gedacht. Das sagt praktisch alles. Gehen Sie also ruhig davon aus, dass Sie kein geeignetes Messgerät haben, um IR präzise und reproduzierbar zu messen. Was also tun? Die Hersteller der Filme geben in den Datenblättern oft eine Standardbelichtung für sonnenbeleuchtete Motive an, empfehlen aber, Belichtungsreihen zu schießen. (Kodak rät zu einer Belichtungsreihe über sage und schreibe 5 Blenden!) Sie sind in der Tat gut beraten, dieser Empfehlung zumindest anfänglich zu folgen, denn wenn Ihr Belichtungsmesser in zwei Situationen denselben Lichtwert X anzeigt, heißt das nicht, dass auch beide Male dieselbe Menge IR-Strahlung da ist. Morgens und abends, wenn die Sonne dicht über dem Horizont steht, legt das Sonnenlicht einen langen Weg durch die Erdatomsphäre zurück, auf dem es durch Wechselwirkung mit den Luftmolekülen und luftgetragenem Staub nicht nur geschwächt, sondern auch in seiner spektralen Zusammensetzung verändert wird. Blaues Licht wird, wie oben erwähnt, wesentlich stärker geschwächt als rotes. (Daher die mit tieferem Sonnenstand immer roter werdende Sonne und daher auch die Reduzierung atmosphärischen Dunstes durch Filter, die blaues Licht nicht durchlassen.) Wenn Sie also am Abend mit Ihrem Belichtungsmesser eine bestimmte Menge sichtbares Licht messen, wird gleichzeitig viel mehr IR vorhanden sein als wenn Sie dieselbe Menge Licht mittags angezeigt bekommen.

Auch sollte man beachten, dass ein Motiv, das ein bestimmtes Reflexionsverhalten im sichtbaren Licht aufweist, im IR ganz anders aussehen kann. Bekanntes Beispiel hierfür ist grünes Blattwerk, das im Sichtbaren grün - für Schwarzweiß mittel- bis dunkelgrau - aussieht, im IR jedoch gleißend weiß. Sie tun also besonders bei IR-Aufnahmen gut daran, eine Lichtmessung statt einer Objektmessung vorzunehmen.

In [3] empfiehlt der Autor, man möge bei SLR-Kameras mit aufgesetztem strengem Filter auf die Stellen messen, die im Sucher am hellsten erscheinen. Wenn das - wie der Autor behauptet - gut funktioniert, ist das nach dem oben Gesagten auf ein glückliches Zusammentreffen einer bestimmten Empfindlichkeitsvereilung des Belichtungssensors mit den liebsten Motiven des Autoren zurückzuführen. Allgemeingültig ist diese Aussage keineswegs.

Damit Sie nicht für ewig und alle Zeiten darauf angewiesen sind, für jede Aufnahme 5 bis 6 Negative zu verbrauchen (IR-Film ist schließlich nicht der billigste!), empfehle ich Ihnen, sich bei den ersten Filmen Notizen über die Lichtverhältnisse zu machen. Wenn Sie sich zusammen mit den Kotaktabzügen die Notizen anschauen, können Sie recht schnell erkennen, dass Sie z. B. bei Mittagssonne in südlichen Gefilden trotz für das Auge undurchsichtigen 87er Filters mit einer Empfindlichkeitseinstellung von ISO 50/18° bis ISO 100/21°, teilweise auch ISO 200/24°, gute Ergebnisse erzielen können, während Sie bei bedecktem Himmel eine um mindestens ein bis zwei Blendenstufen geringere Empfindlichkeit ansetzen müssen, um Fotos zu erzeugen, die Ihnen gefallen.

Beachten Sie allerdings eines: Ihre Kalibrierung gilt streng genommen nur für die geographischen Bedingungen, unter denen Sie sie durchgeführt haben. Eine Bekannte berichtete mir von enttäuschenden Erfahrungen mit IR-Film im Hochgebirge. Das scheint mir gut erklärbar: Im Hochgebirge ist der Weg, den die Sonnenstrahlen innerhalb der Atmosphäre zurückgelegt haben, deutlich kürzer. Das bedeutet, dass weniger Licht von der Atmosphäre absorbiert/gestreut wird. Da aber die Atmosphäre blaues Licht beim Durchgang stärker schwächt als rotes, dürfte im Gebirge zwar ungefähr dieselbe Intensität im IR ankommen wie bei gleicher geografischer Breite auf Meeresniveau, aber deutlich mehr blaues Licht. Der Belichtungsmesser misst das sichtbare Licht, lässt sich also durch das reichlicher vorhandene blaue Licht zu überhöhten Anzeigen verleiten.

Noch einmal zur Messtechnik: Am empfehlenswertesten erscheint mir Lichtmessung (entweder direkt mit einem Handbelichtungsmesser oder durch Ersatzmessung des von einem mittelmäßig hellen Objekt (Graukarte, Handfläche o. ä.) reflektierten Lichts. Von der Messung durch ein Filter rate ich ab.

Erfahrung ist alles!

Aus der Tatsache, dass der Belichtungsmesser etwas Anderes sieht als der Film, ergibt sich zwingend, dass Sie Ihrem Belichtungsmesser nicht (blind) trauen können. Nachfolgend ein paar einfache Regeln zur Interpretation der Belichtungsmesseranzeige:

  1. Der IR-Anteil im Sonnenlicht ist über den Tag nicht konstant.
    Aufgrund des unterschiedlichen Verhaltens von blauem und rotem Licht beim Durchgang durch die Atmosphäre ist bei tief stehender Sonne (also langem Weg des Lichts durch die Atmosphäre) der Rot- und IR-Anteil größer. Man sieht das an der tiefroten untergehenden Sonne. Ihr Belichtungsmesser wird also zu wenig messen! Gehen Sie von einer um eine halbe bis eine Blende erhöhten effektiven Empfindlichkeit aus.
     
  2. Der IR-Anteil ist abhängig von der geografischen Breite und Jahreszeit.
    Je tiefer die Sonne steht, desto länger der Lichtweg durch die Atmosphäre, was wiederum heißt, je mehr IR (immer im Verhältnis zum sichtbaren Licht) liegt vor. Also: Je weiter Sie vom Äquator weg kommen, desto höher wird Ihre effektive Empfindlichkeit.
     
  3. Der IR-Anteil ist abhängig von der Wettersituation.
    Ein bedeckter Himmel mindert sichtbares und IR-Licht. Der relative IR-Anteil ist daher geringer als bei Sonnenlicht. Setzen Sie eine reduzierte Empfindlichkeit an.
    Mitunter sehen Sie übrigens bei IR-Aufnahmen bei für das Auge völlig gleichmäßig bewölkt aussehendem Himmel auf Ihrem IR-Foto doch noch Struktur in den Wolken.
     
  4. Glühlampenlicht enthält besonders viel IR.
    Es gilt also sinngemäß das für Sonnenuntergang und Abend Gesagte (höhere effektive Empfindlichkeit). [Bei konventionellen Filmen, bei denen die Empfindlichkeit zu langen Wellen hin abnimmt, müssen Sie entsprechend von einer leicht (1/3 Blende) reduzierten Empfindlichkeit bei Glühlicht ausgehen.]

Beispielbilder

Ganz ohne ein paar Beispielbilder möchte ich diesen Artikel doch nicht beschließen. Nachfolgend also einige kommentierte Bilder.


13-bild1 

Bild 1: Sonnenbeschienenes Haus mit Wiese, Rouffignac, Südfrankreich

Deutlich zu sehen sind der Wood-Effekt (weißes Grünzeug) und der schwarz wiedergegebene blaue Himmel. Aufnahme auf Kodak HIE durch Filter RG 665, entwickelt in Xtol 1+3.

 

13-bild2Bild 2: Gipskopf, Belvès, Südfrankreich

Dieses Foto zeigt die charakteristischen Überstrahlungen (siehe z. B.die Blätter vor der dunklen Mauer) und die tiefen Schatten. Der Bildton - Leser der letzten Kolumne werden es ahnen - ist eine Konsequenz des Lith-Verfahrens. Aufnahme auf Kodak HIE durch Filter RG 665, entwickelt in Xtol 1+3.

13-bild3 

Bild 3: Lanterne des Morts (Totenlaterne), Sarlat, Südfrankreich

IR ist nicht nur etwas für Sonnentage. Dieses Foto entstand bei bedecktem Himmel. Bildton wieder durch Lith-Verfahren. Aufnahme auf Kodak HIE durch Filter RG 665, entwickelt in Xtol 1+3.

Alle Bilder © Thomas Wollstein

 

Literatur

[1] Making an Improvised Infrared Transmitting Filter, Andrew Davidhazy, School of Photographic Arts and Sciences, Imaging and Photographic Technology Department, Rochester Institute of Technology, http://www.rit.edu/%7Eandpph/text-infrared-filter.html (Link geprüft 07.09.01)
[2] Internet-Seiten von Marco Pauck, speziell http://www.pauck.de/marco/photo/infrared/infrared.html (nicht mehr online)
[3] Mark Brandenburgh, Auf anderer Wellenlänge, in Schwarzweiß 27 (November 2000)
[4] Rudolf Hillebrand, Infrarot - Fotografie auf anderer Wellenlänge, Verlag Phtographie 1992, ISBN 3-7231-0019-8

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