Anders kann man es nicht sagen: Der Mensch von heute hat eine Schattenphobie. Immer muss alles hell sein, immer sucht er das Licht, strebt nach Sonne. Und wehe, einer mag’s lieber dunkel und verhangen. Sofort heißt es: Der hat wohl einen Schatten. Ist nur ein Schatten seiner selbst. Führt ein Schattendasein. Verschattet! Überschattet! Reif fürs Schattenreich! Eine Phobie, wie gesagt. Und sie durchzieht nicht nur unsere Sprache.

Die Kunst allerdings ist schattenfroh. Ohne Schatten wäre sie nicht, sie kommt aus dem Schatten, sie ist aus ihm heraus geboren. So jedenfalls erzählt Plinius der Ältere die Geschichte vom Anfang der Malerei: als die Geschichte einer jungen Frau aus Korinth, die ihren Liebsten fest in den Armen hält und ihn gern für immer so hielte. Kurzerhand greift sie zum Stift und zeichnet seine Schattensilhouette an die Wand. Denn mag die Liebe auch flüchtig sein wie dieser Schatten, die Zeichnung bleibt.